Nicht etwa Lohnunterschiede sind hauptsächlich für die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verantwortlich, sondern die ungleiche Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit. Weltweit leisten Frauen und Mädchen täglich weit mehr als 12 Milliarden Stunden unbezahlte Haus- Pflege- und Fürsorgearbeit im Wert von etwa 11 Billionen US-Dollar pro Jahr. Dadurch besitzen Frauen insgesamt weniger als die Hälfte des Vermögens von Männern.
Oft wird so getan, als sei die Sozialisation dafür verantwortlich, dass Frauen und Männer unterschiedlich viel unbezahlte Fürsorgearbeit in der Gesellschaft leisten. Dabei verstellt uns die Geschlechterrollendiskussion den Blick für eine viel grundsätzlichere Problematik. Sie stellt nämlich nicht die Ausbeutung und Abwertung von Sorgearbeit in Frage, sondern nur wer sie verrichtet. Es muss uns aber vielmehr darum gehen, die herkömmliche Trennung von ökonomisch und außerökonomisch grundsätzlich zu kritisieren. Denn erst im Zuge der Industrialisierung und der Verstädterung der Gesellschaft, wurden Waren und Güter außerhalb von Haus und Gemeinschaft produziert. Dies ging mit einer Teilung der produzierenden von der reproduzierenden Arbeit einher und wurde nach männlich und weiblich aufgeteilt. Schließlich gewann die männliche
, am sichtbaren Ergebnis orientierte Erwerbsarbeit, immer mehr identitätsstiftende Bedeutung. Dagegen wurde Fürsorge, die der Regenaration, Pflege und Erhaltung jener Arbeitskraft dient, zur selbstverständlichen und isolierten Aufgabe von Frauen innerhalb der Privatsphäre. Bis heute gilt sie nicht als Arbeit, sondern als Liebesdienst.
Mit der Frauenbewegung erhielten Frauen zwar schließlich einen gleichberechtigten Zugang in den Arbeitsmarkt. Dadurch wurde das männliche Arbeitsmarkt- und Wirtschaftssystem allerdings nicht weiblicher. Bis heute ist es zutiefst kinder- bzw. familienfeindlich und damit auch frauen- bzw. mütterfeindlich. Mit der Integration weiblicher Arbeitskraft in das patriarchal-organisierte ökonomische System musste auch die Fürsorgearbeit zum Teil in die Sphäre der Erwerbsarbeit verlagert werden. Doch die profitorientierte Durchdringung des Sozialen hat verheerenden Folgen für Sorgende und Versorgte. Gleichzeitig ist der Kern familienpolitischer Bemühungen stets die Anpassung der familiären Sphäre an die ökonomischen Bedingungen
, wobei sich selbst die allerjüngsten Mitglieder den Arbeitsmarktanforderungen unterordnen müssen.
Das Recht, sich als Frau in der Männerwelt beweisen zu dürfen, hat nichts an den Machtverhältnissen und ihren Regeln verändert. Aus diesem Grund entwickelt sich zunehmend die Überzeugung, dass mit dem Begriff „Care“ nicht nur die Gleichstellung oder Integration bestimmter Bereiche zur Debatte steht, sondern ein grundlegender ökonomischer Paradigmenwechsel. Care-Aktivistinnen fordern, Ökonomie vom erweiterten Care-Begriff her neu zu organisieren und damit ihrer ursprünglichen Bedeutung der Bedürfnisbefriedigung wieder zurück zu führen. Dabei reicht es nicht, Fürsorgearbeit in die öffentliche Sphäre zu integrieren. Wenn wir patriarchale Strukturen tatsächlich durchbrechen wollen, müssen wir vielmehr die marktwirtschaftlich produzierende Sphäre in die gemeinschaftlich reproduzierende Sphäre integrieren und die Bedingungen des Arbeitsmarktes an die Bedürfnisse der Familien anpassen. Fürsorge wird damit zum Bezugspunkt für ökonomisches Handeln und nicht umgekehrt. Schließlich rücken wir Mütter bzw. jene, die Fürsorge leisten, wieder ins Zentrum der Gesellschaft.
Veröffentlicht in: Mänken
, Sabine (Hrsg.) Mütter der neuen Zeit. Wir plädieren für eine kindgerechte Entwicklung. Neue Erde Verlag, 2020.